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Meine Damen und Herren,
ich komme aus Aachen und kenne Herrn Stark schon etwas länger. Und so hat er mich eingeladen, hierher zu kommen und einiges zu seinen Werken zu sagen.
Ich freue mich, dass die NVV einem Künstler aus unserem Raum Gelegenheit gibt, sich vorzustellen.
Einem überzeugten Autodidakten, der auf besondere Weise die Freiheit des Autodidakten nutzt, um verschiedenste Alltagsmaterialien zu recyceln, vor allen Dingen Eierkartons! Das werden Sie in dieser Ausstellung sehen!
Sie sind daran gewöhnt, sich einen Künstler vorzustellen, der in Bildern denkt. Aber stellen Sie sich einen Künstler vor, der nicht nur in Bildern denkt, sondern der in Worten denkt. Der in Worten Bilder entwirft. Denken Sie an einen Kalligraphen aus Ostasien und denken sie sich einen, der sich an zwei Worten aufhängt: An dem Wort „Sein“ und an dem Wort „Ei“.
Ei kommt in Sein vor.
Ich bin zum ersten Mal verunsichert worden von einer Arbeit von Urban Stark von 2006 - die heißt „Huhn oder Ei“ und besteht aus einem Keramikwürfel, der mit einem Videotape umwickelt ist. Und dazu steht auf dem Titel „Videotape 3 Minuten - Duft der Frauen“.
Ich habe den Film mit Al Pacino gesehen und auch den mit Vittorio Gassmann - Duft der Frauen -. Aber meine Fantasie wucherte nun aus bei der Vorstellung „Duft der Frauen“ und „Huhn oder Ei“.
Man kommt da in Bereiche hinein, die sehr lustig sind; die von Worten ausgelöst werden, die sich an Bilder hängen.
Das Wort Ei ist ein sehr populäres Wort. Und erlaubt eine Fülle von gebräuchlichen Redensarten, etwa „Auch ein gescheites Huhn legt sein Ei neben das Nest“, oder „das kommt von keinen guten Eiern“ oder „dem hat der Teufel ein Ei ins Haus gelegt“ oder „die Eier waren weg, bevor jemand mit dem Salz kommt“.
Sie kennen viele dieser Sprüche wie: „das Gelbe vom Ei“ oder „Ach, du dickes Ei“.
Wenn Sie an das Wort „Sein“ denken, heben Sie sich aus dieser populären Ebene empor - und sind sofort in einer Ebene der Philosophie. Denn über Sein oder Nichtsein redet einer wie Hamlet oder Martin Heidegger in „Sein oder Zeit“.
Es ist der Slogan der Philosophen.
Und der Philosoph „Urban Stark“ ist ein positiver Philosoph. Für ihn heißt „Sein“ in irgendeiner Weise „Überleben“.
So sind die Boote, die er entworfen hat, hier Botschaften des Überlebens. Es sind nicht Narrenschiffe, sondern Rettungsboote und sie sind geknüpft an Begriffe wie Liberté – die Freiheit, oder Omaha oder James Ryan. Und Sie wissen, was Omaha Beach bedeutet und was James Ryan bedeutet. Das sind Namen und Worte, die von der Befreiung reden, von der Befreiung Europas von der Herrschaft des Dritten Reiches, von der Invasion in der Normandie.
Man könnte sagen, die Zukunft nach Urban Stark liegt in den Eiern. Er liebt diese Lebensentwürfe, die sich an die Vorstellung knüpfen, dass das Ei für Geburt steht. Er liebt Ordnungen, in die das Ei sich einfügt.
So ist der Eierkarton ihm zu einem wichtigen Ordnungsprinzip geworden.
Nicht umsonst gibt es eine von diesen Arbeiten, die sich auf den russischen Suprematisten Malewitsch bezieht, auf dessen schwarzes Quadrat. Auch das war ein Entwurf einer bestimmten Ordnung. Diese Ordnungen, die Stark entwirft in seinen Eierkartons, beziehen ihn selbst ein und sind durchtrieben von Humor und Ironie. Aber, sie führen immer zu der Frage: „Wer bin ich in dieser Ordnung?“, „Ist diese Ordnung ein Käfig?“ oder „Ist diese Ordnung eine, die das Zusammenleben von Menschen sichert?“ und „Was wird von mir bleiben?“.
Die Philosophen haben in der Neuzeit, die in der Philosophie sehr stark bestimmt ist vom Tod Gottes, den Planeten Erde ausschließlich als Ressource für menschliche Bedürfnisse definiert.
Und heute schätzen sie die Weltbeherrschung als letzten Sinn der Menschheit ein.
Martin Heidegger hat in seinem Buch „Sein und Zeit“ pessimistisch von einer „Seins-Vergessenheit“ geredet. Aber schon Hegel hat vor ihm gesagt: „Es ist eine große Einsicht, dass man erkannt hat, dass Sein und Nichtsein nur Abstraktionen ohne Wahrheit sind - das erste Wahre ist nur das Werden“.
Sehen Sie, ich denke, das ist an dieser positiven Phantasie des Urban Stark das Wichtigste und deswegen heißt die Ausstellung auch „Bitte „Ei“nsteigen“.
Mögen Sie alle diese positive Botschaft mitnehmen, wenn Sie diese Werke betrachten und mögen Sie Ihre Freude am Humor des Künstlers haben. Danke!
Professor Dr. Wolfgang Becker
Oktober 2009
Kunst ist S(EI)N
Skulpturen und Fotografien von Urban Stark
Nein, die Werke dieser Ausstellung sind keine unverbindlichen ästhetischen Objekte, die Sammlern und Kunstliebhabern auf den ersten Blick gefallen, keine konventionellen Gemälde, Zeichnungen oder Bronzen. Ich nenne sie, der Definition von Lévi-Strauss in seinem Buch „Das wilde Denken“ folgend, Bricolagen: Gegenstände, zusammengesetzt aus disparaten Materialien verschiedenster Herkunft, aus gebranntem Ton, Abfall von Videotapes, Blei, Speckstein, Münzen, Glas, Holz, Eiern, Eierschalen, Eierkartons. Auch die Fotografien, die Urban Stark hier zeigt, nenne ich Bricolagen, Fotografiken, Montagen, die er im Rechner komponiert, in denen noch einmal Eier eine wichtige Rolle spielen, und ebenso die Videoclips bei Youtube, ja selbst die gemalten Bilder nenne ich so.
Bricolagen sind Ergebnisse eines emotionalen, „wilden“, „magischen“ Denkens, das dem wissenschaftlichen Denken gegenübersteht. Sie verinnerlichen einen Gedanken, einen Anlass, ein Motiv – im Gegensatz zum akademischen Kunstwerk, das seine Herstellung verinnerlicht.
Die Titel der Werke verraten die Anlässe: „Alle in einem Boot“, „Kristallnacht 2006“, „Roter Platz“, „Pillenknick“, „Bildschirm-Droge“, „Gene in Rationen“, „Schweigen ist nicht immer Gold“.
Das Thema der Ausstellung sollte sein:„Faszination der Macht“, und Stark erwog, gute und böse „Helden“ gegenüber zu stellen: „Che Guevara“ gegen „Mugabe“. Der Macht sollte nicht Ohnmacht gegenüber stehen, aber die „Boat people“, jene Flüchtlinge zwischen Kuba und den USA, zwischen Afrika und Europa sind ganz und gar präsent in jenen fragilen Bootskulpturen aus Glas und Ton, die einen der Räume beherrschen.
(Im Gespräch nannte er, um die Ohnmacht zu relativieren, die Gegner des G 8-Gipfels, die Mönche in Tibet + Burma und sein Werk „4.586 Stimmen für Freiheit und Demokratie“ über den Platz des Himmlischen Friedens).
Urban Stark ist ein ZOON POLITICON, ein politischer Mensch, der Kunst als ein Instrument, ja eine Waffe der Aufklärung begreift und als eine Kunst der Strassen und Plätze. Dort findet er ihre Anlässe und ihre Materialien.
Nostalgisch habe ich, der 68er, die Werke betrachtet. So habe ich als Museumsmensch meine Karriere begonnen: Jeder Mensch ist ein Künstler, und Kunst soll von allen gemacht werden.
Die Straßen in diesen Fotografiken sind aber nicht mit agitierenden Menschen gefüllt, sondern leer, gerahmt von eiskalten Architekturen. Stark setzt in diese verkümmerten, menschenfeindlichen Räume als Zeichen des Lebens ein schlichtes, demütiges, surreales Symbol: das Ei, die Keimzelle, die Urform, das ästhetische Absolutum.
Gibt es heute Sammler für solche Werke? Kann Kunst heute politisch sein? Demokratisch? „Links“? Gibt es noch einmal jene Allianz zwischen Künstlern und Politikern, die in der Ära Willy Brandts existierte? Oder zielt die Kunst nur noch auf die Verinnerlichung ihrer Mittel in einem feinen L´Art pour L´Art?
Der Videoclip „Walk the line/Rauchen kann tödlich sein” endet:
„Huhn oder Ei, Was war zuerst, Das ist nicht die Frage, Die Frage ist: Was bleibt.“
Ist aber Kunst zum Bleiben? Zur Erinnerung? Ist Kunst ein Memento Mori? War die erste Skulptur wirklich ein toter Mensch? Kunst als politisches Instrument
darf nicht der Erinnerung dienen, sondern der Auseinandersetzung.
Wenn sie bleiben will, muss die Auseinandersetzung von bleibendem Wert
gewesen sein. Es ist gut, dass die Ausstellung von Urban Stark daran erinnert.
Und dazu beglückwünsche ich Herrn Stark.
Prof. Dr. Wolfgang Becker, Aachen
im Mai 2009
Kunst ist S(EI)N
Objekte und Fotografien von Urban Stark
Urban Stark ist Objektkünstler und Fotograf. Seine zumeist in Werkreihen entstandenen Objekte und Farbfotografien verbinden eine konkrete Gegenständlichkeit mit abstrakten und konzeptuellen Elementen. Plastische Boote aus Keramik, Glas oder Pappmaschee werden gefüllt mit verschiedenartigem Material, das von der Dingwelt bis hin zu abstrahierend gestaltetem, buntfarbenem Kunststoffschaum reichen kann, werden umwickelt mit bespieltem Filmmaterial, mit Schrift versehen, auf Ständer montiert oder an Schnüre gehängt. Urban Stark setzt auch die Form des geometrischen Körpers Würfel ein, der, nach allen Seiten hin offen, sowohl Elemente aus der Konzeptkunst, wie Filmmaterial und Schrift, aber ebenso solche aus der Welt des Gegenständlichen aufnimmt. Über die gestaltete Form hinaus nutzt der Künstler aufgefundene Realien, wie Geldstücke, Eierkartons, das Ei oder Eierschalen sowie getrocknete Blüten, die Eingang in seine Objekte finden und diese einerseits durch ihre spezifische Erscheinungsweise, andererseits durch ihren Symbolwert und ihre inhaltliche Bedeutung definieren.
Die Fotografien, die reale Orte und Architekturen einfangen, werden digital verfremdet, in surreale Welten transponiert und mit Dingsymbolik aufgeladen. Gegenständlichkeit, Abstraktion und Konzeptkunst verbinden sich in den Objekten und Fotografien von Urban Stark zu ganz eigenständigen und individuellen Werken. So lassen diese sich auch nicht auf Formfragen reduzieren, sondern zielen stets auf eine komplexe Inhaltlichkeit. Kunst ist nicht primär Form sowie ein Produkt der Wahrnehmung, sondern Kunst ist materialisierter Gedanke, gestaltete Materie und Konzept. Kunst ist S(EI)N, Sein des Künstlers, Sein des Betrachters. Die menschliche Existenz und ihre Problemstellungen verdichten sich im konkreten Kunstwerk.
Die Werke von Urban Stark reflektieren gesellschaftliche Fragen. In dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Menschsein sowie dem Menschen in seinem gesellschaftlichen Umfeld ist Urban Stark ein politischer Künstler, der sich den Fragen der Zeit stellt. Doch tritt er weder als Propagandist noch als Ideologe auf, der den Betrachter in eine bestimmte Richtung lenken will, sondern verweist unaufdringlich und nüchtern-distanziert auf brennende Probleme der Gesellschaft hin, wie die boatpeople, den Rechtsradikalismus, Gewalt innerhalb der Familie, die neu erstarkende Klassengesellschaft. Diese Aspekte fließen im Schaffensprozess mit in seine Arbeiten ein, ohne diese jedoch einseitig zu dominieren. In einer Zeit, in der ästhetische Fragen in den Vordergrund rücken, ist diese gesellschaftspolitische Ausrichtung von Kunst bemerkenswert. Das häufig verwendete Filmmaterial bei seinen Objekten macht deutlich, dass in etlichen Werken ein konzeptueller Ansatz dominiert, der sich nicht allein über die Betrachtung der Form erschließt. Die Arbeiten von Urban Stark erfordern über das konzeptuelle Verständnis hinaus ein genaues Hinsehen des Betrachters und eine intensive Beschäftigung mit Text. Das Wort im Werk, die Bildtitel sowie die intensive Gedankenlyrik des Künstlers, die parallel zu den visuellen Arbeiten entsteht, ermöglichen erst einen adäquaten Interpretationsansatz. Doch nicht alles muss erklärt werden, ein Stück Nicht-Erklärbarkeit bleibt im Einzelwerk bestehen, das dem Betrachter genügend Freiheit in seiner individuellen Rezeption gibt.
Dr. Dagmar Preising
Kuratorin des Suermondt-Ludwig-Museums, Aachen, Aix-la-Chapelle, im Juni 2008
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